Die erste wichtige Entscheidung, die nach Betreten des JiGs getroffen werden muss: Hinter der linken Tür verbirgt sich der Raum, in dem der Graffiti-Workshop stattfindet. Und ja, Mukke gab's auch. Hinter der rechten Tür geht es zur Bar.
Integration mit Papier und Stift: Bei einem Graffiti-Workshop treffen sich Grafinger Jugendliche und junge Geflüchtete aus aller Welt. Es entstehen viele bemerkenswerte Bilder - ein Besuch.
Die Jugendinitiative Grafing (JiG) platzt förmlich vor positiver Energie und Schaffenskraft. Das JiG verwaltet sich selbst. Und es mischt sich ein. Im Arbeitskreis Flucht und Asyl zum Beispiel helfen die Grafinger Jugendlichen Geflüchteten aus aller Welt. Auch mit dem Ebersberger Kreisjugendring (KJR) zusammen haben sie schon so einige Projekte auf die Beine gestellt. Bei einer "Soliparty" oder einem Kinoabend etwa wurden Spenden für die Seenotrettung gesammelt. Ebenso sind die Grafinger Jugendlichen auf Demonstrationen regelmäßig dabei.
An diesem Abend aber soll es ein Graffiti-Workshop sein, der junge Menschen aus dem Landkreis Ebersberg mit geflüchteten Jugendlichen zusammenbringt. Deshalb kommt eine Asyl-Wohngruppe der "Bunten Dächer" im JiG vorbei, einer Einrichtung für alleinstehende Jugendliche und junge Erwachsene des Landratsamts.
Das Gebäude, in dem das JiG beheimatet ist, bietet die wohl perfekte Umgebung für solch einen Kurs: Beinahe alle Wände, Treppen, Türen und Möbel sind bemalt, beschriftet, beklebt. Mal politisch, mal unpolitisch verwirklichen sich die Grafinger Jugendlichen in ihrem JiG. Die Bandbreite reicht von künstlerisch anspruchsvollen Portraits von Bob Marley oder Kurt Cobain über coole Graffitis bis hin zu mit Filzstift geschriebenen Einzeilern oder Aufklebern.
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"Wir sagen nicht, hier dürft ihr draufmalen, wir sagen: hier und hier bitte NICHT draufmalen", erklärt Helen Hamburger, 23 Jahre alt und im JiG-Vorstand. Nicht draufmalen, das gilt für die Theke, den Glastisch - und die Technik. Der ganze Rest der Einrichtung steht der Kreativität zur Verfügung. Wer zuerst kommt, malt zuerst.
Obwohl der Graffiti-Kurs noch nicht begonnen hat, ist Leonhard Martz schon schwer beschäftigt. Er hilft, das Material ranzuschaffen, klärt letzte Einzelheiten, begrüßt und informiert Gäste und Helfer. Martz arbeitet als Referent für Jugendarbeit beim KJR und ist federführend für den Workshop zuständig. "Wir wollen so viele Begegnungen wie möglich schaffen", erklärt der 34-Jährige. "Denn manche der Geflüchteten, die heute kommen, sind gerade mal ein paar Monate in diesem Land." An Abenden wie diesem wolle man ihnen zeigen, was man im Landkreis so alles unternehmen könne. "Vielleicht gefällt es ihnen ja hier im JiG und sie kommen selbstständig noch einmal vorbei - das wäre ein toller Erfolg", sagt Martz weiter.
Während der Jugendreferent sich wieder dem Organisationsgewusel widmet, bereiten sich auf der Bühne zwei Jugendliche auf ihren Einsatz vor. Sie sind beide Graffitikünstler, kommen öfter ins JiG und leiten den praktischen Teil des Workshops. Beide wollen aber lieber anonym bleiben. Sie bauen alles Nötige für ihre Präsentation auf. Farbdosen sind indes nur sehr wenige zu sehen - denn heute soll gar nicht gesprüht werden. Vielmehr geht es darum, die verschiedenen Techniken und Stilrichtungen des Graffiti kennenzulernen sowie selbst auszuprobieren. Und das geht viel besser mit Stift und Papier.
Als die Grafinger Jugendlichen und die Bewohner der Asylwohngruppe eintreffen, kann es gleich los gehen. Nach einer herzlichen Begrüßung durch Martz starten die beiden Graffiti-Künstler mit ihrer Präsentation. Da viele der Geflüchteten erst seit Kurzem in Deutschland sind, übersetzt einer, der bereits besser Deutsch spricht, den Vortrag. Er ist sehr informativ, vor allem zeigen die beiden Sprayer Positiv- und Negativbeispiele der öffentlichen Graffitikunst.
Die Gruppe lauscht dem Vortrag der Graffitikünstler.
Bei vielen der gelungenen Beispiele handelt es sich um Graffitis auf Zügen, S-Bahnen und öffentlichen Wänden. Bei den Angestellten des Kreisjugendrings macht sich deshalb bald latente Beunruhigung breit. "Könnt ihr bitte noch dazusagen, dass das illegal ist?", unterbricht Tom Rauch schließlich die Präsentation. Er arbeitet bei den Bunten Dächern, ist Sozialpädagoge und betreut an diesem Abend zusammen mit seinem Kollegen Rolf Lammerding die geflüchteten Jugendlichen.
Die beiden Graffitikünstler aber beruhigen die Betreuer sogleich und erklären, dass man nur auf eigens dafür bereitgestellten Wänden künstlerisch tätig werden sollte. Nur auf sogenannten "Wall of Fames" dürfe sich jede und jeder verwirklichen. Auch Grafing hat so eine Wand, direkt hinter dem Grafinger Freibad. Nicht nur die Betreuer, auch die Teilnehmer nicken, die Info scheint allen einzuleuchten.
Wer Inspiration sucht, kann einfach in eines der Beispielhefte schauen.
Für den praktischen Teil haben die beiden jungen Kursleiter selbst gezeichnete Beispielhefte vorbereitet, die auf den Tischen ausliegen. Ein wichtiger Tipp für Beginner: Zuerst den Buchstaben aufschreiben beziehungsweise malen, erst dann die freie Kunst drumherum zeichnen.
Die Graffitilehrlinge machen sich sogleich ans Werk. Mit Blei-, Filz-, Lack- und Acrylstiften rücken sie Papier und Leinwänden zu Leibe. Die Anfänge sind erwartbar etwas holprig - aber die beiden Profis stehen den Neulingen immer zur Seite. Schon bald wird überall ausprobiert, entworfen und gemalt. Auch Leonhard Martz liefert Anregungen, kreiert auf Wunsch sogar individuelle "Tags" für die Teilnehmer - in kaum mehr als einer Minute. "Tag", so nennt man den fiktiven Namen, den sich jeder Graffitikünstler selbst gibt.
Amalia zum Beispiel zeichnet gerade ihr allererstes Graffitikonzept. Sie ist 22 Jahre alt und seit zwei Jahren bei "Word Up" dabei, das ist eine Initiative des KJR: Rap und Poetry gegen Rassismus und Diskriminierung. Schon seit drei Jahren schreibt Amalia Gedichte. "Über alles, was mir einfällt", sagt sie. "Einmal habe ich bei jemandem einen auffälligen Regenschirm gesehen und diesem ein paar Zeilen gewidmet." Die Lyrik sei für sie auch ein Ventil. "Wenn du Probleme hast, dann mach Kunst. Das hilft ungemein."
Aber auch generell findet es Amalia super, was bei "Word Up" alles gemacht wird. "Wir organisieren auch viele Safe-Spaces. Das sind Räume, in die sich gewisse diskriminierte Gruppen zurückziehen können, um ihre Probleme zu sprechen." Schon bald stehe wieder ein solches Treffen für von Rassismus und Diskriminierung betroffener Menschen an.
Erst auf Papier, dann an die Wand: ein paar Entwürfe dieses Abends.
Über den Abend entstehen viele bemerkenswerte Kunstwerke. Nur der Kontakt zwischen den Grafinger Jugendlichen und den Geflüchteten will nicht so richtig anlaufen. "Das ist aber am Anfang ganz normal", erklärt Martz. Man müsse den Jugendlichen erst einmal Zeit geben. "Das ist ganz wichtig. Man darf nicht denken, ich muss hier jetzt einschreiten, die sollen sich austauschen." Es sei vollkommen in Ordnung, wenn sie beim ersten Treffen erst einmal nur Eindrücke sammeln würden. "Man darf auch nicht vergessen wie jung sie alle noch sind, die Jüngsten sind gerade mal 16."
Martz jedenfalls zieht ein positives Fazit: "Der Abend war ein voller Erfolg. Alle haben sich künstlerisch betätigt und Spaß gehabt." Wenn auch die Geflüchteten etwas zurückhaltender gewesen seien, sei er sicher, dass das schon beim nächsten Mal anders sein werde. Auch ist er begeistert, dass viele neue Gesichter da waren. "Die Mädels hinten am Tisch waren zum Beispiel noch nie hier. Das ist doch super", sagt Martz. Und es werde ganz sicher noch mehr solcher Events geben: "Wir haben gerade eine zweijährige Förderung vom Bayerischen Jugendring erhalten - da wird in Zukunft viel passieren."
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