Dass tödliche Polizeieinsätze gerade hitzig diskutiert werden, liegt nicht zuletzt am Fall des jungen Mannes in Dortmund, den Beamte mit Schüssen aus der Maschinenpistole getötet haben. Nun ein ähnlicher Fall in Fall in Pankow.
Zwei Polizisten haben am Dienstagmorgen auf einen Mann geschossen und ihn durch Schüsse in die Beine schwer verletzt. Die Polizei sei am Dienstagmorgen alarmiert worden, weil sich der 28-jährige Mann selbst töten wollte, teilte die Polizei mit. In der Wohnung in Pankow habe er ein Messer in der Hand gehalten und sei dann auf die Polizisten zugegangen. Aufforderungen, das Messer fallen zu lassen, habe er ignoriert. Die beiden Polizisten schossen demnach und trafen ihn in die Beine. Der Mann sei dann in ein Krankenhaus gebracht worden, Lebensgefahr habe nicht bestanden.
Die Polizisten hatten zusätzlich Pfefferspray gegen den Mann eingesetzt. Der Vorfall ereignete sich nach Angaben der Polizei im Haus Kissingenstraße 129 an der Ecke Prenzlauer Promenade. Später war auf dem Bürgersteig vor dem Haus laut Zeugen Blut zu sehen. Schutzschilder der Polizei und Reizgas-Sprühgeräte lagen auf dem Boden im abgesperrten Bereich. Wie immer in solchen Fällen ermittelt eine Mordkommission.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte mit: „Kein Berliner Polizist schießt gern. Aber unsere Kollegen kommen tagtäglich in absolute Ausnahmesituationen, bei denen sie in Sekundenbruchteilen entscheiden müssen und bei denen die Schusswaffe irgendwann als einziges Einsatzmittel bleibt.“
Oliver von Dobrowolski ist Kriminalhauptkommissar in Berlin und setzt sich mit seiner gegründeten Sammelbewegung „Better Police“ für eine bessere Polizei ein. Nach dem Einsatz in Dortmund äußerte er sich bereits im „Stern“ und kritisierte die Prozesse zur transparenten Aufarbeitung. Im Vergleich zum Fall in Dortmund, bei dem der 16-jährige mit fünf Schüssen aus der Maschinenpistole tödlich getroffen wurde, bewertet von Dobrowolski die Reaktion der Polizist*innen in Pankow als „noch sehr besonnen und abgestuft“. Aber: „Die Analogie zum tödlichen Polizeieinsatz jüngst in Dortmund ist wohl offensichtlich.“
Dass die Beamten in Pankow geschossen haben, kann von Dobrowolski nachvollziehen: „Grundsätzlich ist es für Polizist:innen der absolute worst case, mit einer tödlichen Waffe angegriffen zu werden. Und auch wenn polizeiliche Reaktionen auf Angriffe mit Messer meist sehr kontrovers öffentlich diskutiert werden, ist der Schusswaffengebrauch für normal ausgebildete und ausgestattete Streifenpolizist:innen meist alternativlos. Grund ist, dass entschlossene Messerangreifer:innen im Nahbereich sekundenschnell töten können.“
Bei einer Vorkenntnis über eine mögliche Suizidalität stellen sich für den Polizisten aber weitere Fragen: „Wären unter Umständen Spezialkräfte mit Schild und/oder Taser verfügbar gewesen?“ Er schlägt deshalb für sich solche Fälle vor, dass ein jederzeit erreichbarer, sozialpsychiatrischer Dienst eingerichtet wird. Er könnte zeitgleich mit der Polizei alarmiert werden und vor Ort die Lage deeskalierend wirken.
Auch Thomas Feltes, der als Kriminologe und Polizeiwissenschaftler an der Ruhr-Universität-Bochum zum Thema forscht und lehrt, sieht Parallelen zwischen Dortmund und Pankow. Der Einsatz der Schusswaffe sei für ihn legitim, solange dieser „als letzte Möglichkeit“ dient, „wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind oder nicht (mehr) möglich sind.“ Ob dies in Pankow der Fall war, möchte er aus der Ferne nicht beurteilen: „Zu viele offene Fragen für letzte Antworten.“
Wie solche Fälle zu bewerten sind, ist für Feltes auf jeden Fall von der einzelnen Situation abhängig. „Ein Standardprozedere gibt es nicht und kann es nicht geben, weil jede Situation anders ist. Oberstes Kriterium ist: Gefahr abwenden, Handeln muss verhältnismäßig sein.“ Um einen Umgang damit zu verbessern, setzt er in seinem Lösungsvorschlag bei der Theorie an: Denn geschult werden die Polizeianwärter*innen bereits, es fehle an Auffrischung, um eine Handlungsroutine zu entwickeln. „Daher ist Fortbildung dringend nötig.“
Haben Sie dunkle Gedanken? Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie sich melden können.
Der Berliner Krisendienst ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern variieren nach Bezirk, die richtige Durchwahl für Ihren Bezirk finden Sie hier.
Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen finden Sie unter: www.telefonseelsorge.de. Diese ist zudem Tag und Nacht unter dieser Nummer erreichbar: 0800 1110111.
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